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Cyber-Mobbing in der Schule – Prophylaxe, Intervention, Aufarbeitung

Autorin: Judith

Leni ist 15 Jahre alt, als sie mit ihrem Freund Ole zusammenkommt. Ein halbes Jahr sind die beiden unzertrennlich, teilen alles, erzählen sich alles. Doch auf einer Jugendreise verliebt sich Leni in einen anderen und macht Schluss mit Ole. Der ist so verletzt, dass er Leni vor seinen Freunden schlecht machen möchte. Er schickt erotische Bilder, die sie ihm im Vertrauen überließ, an seine Bros, um zu beweisen, was für eine Schlampe sie ist. Von da an verselbstständigt sich alles. Die Jungs schicken die Bilder an andere, und nach wenigen Tagen wird Leni via WhatsApp und Snapchat von unzähligen Leuten auf ihrer Schule verhöhnt, beleidigt und schließlich sogar bedroht. Die digitale Lawine ist unkontrollierbar und übermächtig. Leni traut sich nicht ihren Eltern zu sagen, was los ist, sie schämt sich dafür, dass sie Ole die Bilder geschickt hat. Sie ist verzweifelt, weiß nicht mehr, wem sie trauen kann, meldet sich nicht mehr bei ihren Freundinnen und denkt darüber nach, sich etwas anzutun. Sie möchte nur noch, dass das alles aufhört. Sie geht nicht mehr in die Schule, verlässt morgens das Haus und fährt stattdessen den ganzen Tag mit der U- Bahn durch Berlin. Erst als ihr Lehrer die Eltern über das unentschuldigte Fernbleiben ihrer Tochter informiert, erzählt Leni, was los ist. 

Die Geschichte mit Leni ist zwar erfunden, in der Realität ist sie aber kein Einzelfall. Cybermobbing an Schulen nimmt laut dem Bündnis gegen Cybermobbing* weiter zu: 2 Millionen Schüler:innen und damit über 18 Prozent, sind schon einmal Opfer gewesen. Jede bzw. jeder vierte Betroffene hatte deshalb sogar schon einmal Suizidgedanken. Grundschulen sind von diesen Vorfällen eher selten betroffen, das Phänomen beginnt meist mit der weiterführenden Schule. Das ist auch erklärbar, denn die meisten Schülerinnen und Schüler bekommen ihr erstes Smartphone** nach der Grundschule mit 12 Jahren. Besonders stark steigen die Fallzahlen an Haupt- und Werkrealschulen.  

Vor allem WhatsApp wird von Jugendlichen genutzt, um andere zu mobben. Aber auch TikTok und Snapchat sind beliebt. Im Grunde bietet jedes soziale Medium die Möglichkeit, andere bloßzustellen, ohne das Leid, dass sie anrichten, persönlich miterleben zu müssen 

Wer mobbt und warum? 

Dass Lenis Odyssee ausgerechnet durch die Tat ihres Exfreundes ausgelöst wurde, passt ins Bild.  Rund 80 Prozent der Cybermobbing-Täter kommen aus dem unmittelbaren Umfeld der Opfer und zwei Drittel kennen die Täter und Täterinnen persönlich. Nur in einem Drittel der Fälle verläuft das Mobbing anonym. Die Gründe fürs Mobbing sind vielfältig: 54 Prozent mobben, weil sie der Meinung sind, das Opfer habe es verdient. 37 Prozent geben an, Ärger mit dem Opfer gehabt zu haben. Und 33 Prozent rächen sich, weil sie zuvor gemobbt wurden.  

Auch, wenn die meisten Täter:innen sich keine große Mühe geben ihre Identität zu verbergen, scheint die Tat via Smartphone, ohne dem Opfer persönlich gegenüberzustehen, die Hemmschwelle weiter herabzusetzen. Es ist emotional leichter übergriffig zu werden, wenn man dem Opfer dabei nicht selbst in die Augen schauen muss. Das gewaltbereite, soziale Klima unter den Schüler:innen nimmt zu und wird durch die Anonymität des digitalen Raums verstärkt. 70 Prozent der Eltern gaben zudem an, dass auch die Sprache der Jugendlichen aggressiver und gewaltbereiter geworden sei. 

Wie ist die Rechtslage in Sachen Mobbing? 

Drei Viertel der Lehrkräfte würde die Einführung eines Cyber-Mobbinggesetzes befürworten. Sie hoffen auf eine abschreckende Wirkung. Bis dato gibt es ein solches Gesetz in Deutschland nicht. Mobbing stellt also keine Straftat dar. Strafrechtlich relevant sind aber einzelne Handlungen des Cybermobbings wie etwa Drohungen, Beleidigungen oder Verletzungen des persönlichen Bildrechtes. Zudem kann Mobbing am Arbeitsplatz und an Schulen auch als Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber bzw. die Schule betrachtet werden.  
 
80 Prozent der befragten Lehrkräfte gaben im Rahmen der Studie an, dass Cybermobbing an ihrer Schule ein Problem sei. Und 70 Prozent der Lehrer:innen sagen, dass sie diesem Thema an der Schule nicht mehr gewachsen sind.  8 Prozent waren sogar selbst schon Opfer von Cybermobbing und wurden von Schüler:innen, Eltern, Kolleg:innen oder Vorgesetzten digital angegangen. Die Gefahr ist also erkannt. Aber so einfach wie der Angriff gegen Leni losgetreten wurde, so mühsam ist es, eine solche Tat zu verhindern, aufzuklären und verletzte Seelen zu heilen. 

Mobbing erkennen und Maßnahmen ergreifen 

Mobbing lässt sich an der Reaktion der Opfer erkennen. Am häufigsten kommt es Lehrkräften zufolge zu Niedergeschlagenheit und einer gedrückten Grundstimmung. Aber auch das Fernbleiben und ein deutlicher Leistungsabfall können Hinweise sein. Ebenso Angstzustände, Konzentrationsprobleme, Wutanfälle, aber auch Kopf- oder Magenschmerzen. 

80 Prozent der betroffenen Schulen holen sich extern Hilfe. Ebenso häufig werden die Täter seitens der Schulen disziplinarisch belangt. Viele Schulen laden sich nach einem solchen Vorfall auch Expert:innen ein, um Präventionsmaßnahmen anzubieten. Allerdings werden solche Maßnahmen häufig nicht institutionalisiert und als Einzelmaßnahme sind sie nur punktuell wirksam und wenig nachhaltig. 

“Im Grunde sollte Medienerziehung und Präventionsarbeit spätestens mit dem Wechsel zur weiterführenden Schule obligatorisch stattfinden, bevor die Hochrisikozeit für Cybermobbing beginnt”, rät Sabine Gärtner, Diplompädagogin und Coach. “Es macht Sinn, Eltern und Jugendliche frühzeitig und wiederholt zu den Anti-Mobbing-Maßnahmen zu informieren und sie mit in die Verantwortung zu nehmen, um zu sensibilisieren und zügiges und planvolles Handeln zu ermöglichen, wenn es doch zu einem Mobbing-Vorfall kommt.” 

Ein pauschales Handyverbot an Schulen ist wahrscheinlich zu kurz gedacht. Zum einen entspricht die Nutzung des Internets der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen. Zum anderen ist die Medienkompetenz junger Leute ein wichtiger Baustein unserer zukunftsfähigen Arbeitswelt. Und an den richtigen Stellen eingesetzt sind Internet und digitale Endgeräte auch ein großer Mehrwert im Unterricht. 

Die Rolle der Eltern 

Uwe Leest Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V.  sagte im Interview mit der tagesschau dazu: "Der Schlüssel sind die Eltern. Wenn Sie einem Kind ein Handy mit Internet geben, müssen Sie ihm die Nutzung beibringen. Das ist wie beim Schwimmenlernen. Sie werfen ein Kind ja auch nicht ins Wasser und sagen 'schwimm mal'. Sondern sie nehmen es an der Hand, geben ihm einen Schwimmring, befähigen es." 
 
Nur dein Drittel der befragten Eltern wusste von Anti-Mobbingmaßnahmen und Anlaufstellen an der Schule ihrer Kinder. Diejenigen, die Kenntnis hatten, nannten als mögliche Maßnahmen die Ernennung einer bzw. eines Anti-Mobbing-Beauftragten, die Einrichtung anonymer Meldestellen sowie Hilfs- und Beratungsstellen auf der Schulwebsite. 

Antimobbing-Tipps für Schulen

  • Klare Richtlinien zur Handynutzung an der Schule definieren 

  • Obligatorischer Elternabend zum Thema Cybermobbing in Klasse 5 und 7 

  • Präventionskurse gegen Cybergewalt ab Klasse 6 

  • Vermittlung von Medienkompetenz ab Klasse 5 

  • Vertrauenspersonen und anonyme Meldestellen einrichten 

  • Anti-Mobbing-Beauftragte ernennen 

  • Regelmäßige Anti-Cyber-Mobbing-Fortbildung für das Kollegium durch Präventions-Experten 

  • Einen Prozess etablieren, was zur Prophylaxe und was bei einem Vorfall zu tun ist

Was, wenn es sich um einen Kampf-Helikopter handelt?

Bei allen Bemühungen hängt das Gelingen einer guten Eltern-Lehrkraft-Beziehung natürlich nicht allein von Ihnen ab. Wenn Sie merken, dass kein gemeinsamer Nenner zu finden oder vielleicht sogar gar nicht gewünscht ist, gilt es unter Umständen auch sich selbst zu schützen und eine weitere Eskalation zu verhindern.  

  • Gelassenheit bewahren: Bei Konflikten oder herausfordernden Gesprächen ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und nicht in eine defensive Haltung zu verfallen.  
  • Professionelle Distanz wahren: Es ist wichtig, eine professionelle Distanz zu wahren und sich nicht von persönlichen Emotionen leiten zu lassen.  
  • Grenzen setzen: Lehrkräfte sollten klare Grenzen setzen und deutlich machen, was sie im Gespräch bereit sind zu leisten und welche Themen sie nicht behandeln können.  
  • Sich unterstützen lassen: Wenden Sie sich bei Bedarf an Kolleginnen und Kollegen und bitten Sie um eine kollegiale Fallberatung. Wenden Sie sich an Ihre Schulleitung oder nehmen Sie externe Supervisions- und Beratungsangebote in Anspruch, um sich zu stärken.  

Beratungsstellen:

Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schule in NRW 
 
Sie dient Schulen in Nordrhein-Westfalen als zentrale Anlaufstelle zu diesen Themenbereichen: 

  • Gewaltprävention in der Schule 

  • Cybergewalt und Cybermobbing 

  • Medienbildung 

Die Landespräventionsstelle unterstützt Schulen dabei, präventiv auf diese Phänomene reagieren zu können. Sie fördert dabei Schulentwicklung, bietet den Schulen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und ist im Bereich der Lehrkräfteausbildung mit diversen Workshops vertreten. 

Die Beratung und Fortbildung steht Schulleitungen, der Schulaufsicht, Beratungslehrkräften, Lehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie und Referendarinnen und Referendaren zur Verfügung. 
 
Bundesweite kostenlose Beratung bei Mobbing an Schulen 
 
Deutschlands größtes aktives Netzwerk für ein besseres Miteinander und gegen Mobbing an Schulen setzt sich aktiv für mobbingfreie Schulen und ein besseres Miteinander ein. Der Verein Zeichen gegen Mobbing e.V. unterstützt Schulen mit einem einzigartigen Präventionsansatz beim Umgang mit Mobbingsituationen. Zusätzlich hilft er betroffenen Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften dabei, bestehende Mobbingsituationen zu lösen. 

 

 

 

*Cyberlife_Studie_2024_Endversion.pdf 

** Laut der JIM-Studie verfügen 93 Prozent der Jugendlichen über ein Smartphone. Mehr als die Hälfte von ihnen nutzen dieses ohne jegliche Einschränkungen durch die Eltern: https://mpfs.de/studien/jim-studie/  

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