
Was treibt jemanden an, der seit über zwei Jahrzehnten an der Schnittstelle von Berufsorientierung, Employer Branding und digitaler Eignungsdiagnostik arbeitet? In der aktuellen Ausgabe unserer Interviewreihe Inside NextGen trifft Susanne Peters von Einstieg Concept auf Jo Diercks – einen der prägendsten Köpfe im digitalen Recruiting. Im Gespräch zeigt sich Diercks als klarer Analytiker, reflektierter Vordenker und verbindlicher Pragmatiker – und spricht offen über das, was gute Berufsorientierung heute leisten muss, warum Ehrlichkeit das beste Employer Branding ist und wie die NextGen zwischen Anspruch und Realität navigieren kann.
Beschreib dich in drei Worten – ganz ohne Jobtitel oder Buzzwords.
Inside the Mind: Wer ist Jo Diercks?
Fragt man Jo Diercks, wie er sich selbst beschreiben würde – ganz ohne Jobtitel und Buzzwords – fällt die Antwort bemerkenswert klar aus. Im Zentrum steht für ihn das Thema Eignungsdiagnostik, eng verbunden mit Berufsorientierung – zwei Felder, in denen er nicht nur Experte, sondern auch Überzeugungstäter ist.
Privat beschreibt er sich schmunzelnd als „Dad of two“ – Vater von zwei Töchtern – und macht damit deutlich, dass für ihn Beruf und Familie keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bereichern. Seine Haltung: Sinnstiftung im Job und Verbundenheit im Privaten – beides gehört untrennbar zu dem Menschen Jo Diercks.
Was wolltest du als Kind mal werden – und was begeistert dich heute an dem, was du tust?
Beruf mit Bedeutung
Schon als Kind wusste Jo Diercks: Ich will etwas tun, das Relevanz hat. Der Wunsch, einen Beitrag zu leisten und die Welt im Kleinen besser zu machen, begleitet ihn bis heute – und spiegelt sich in seiner Arbeit rund um Eignungsdiagnostik und Berufsorientierung wider. Menschen mit passenden Aufgaben zu verbinden, ist für ihn nicht nur Beruf, sondern echte Überzeugung.
Auch die Idee von Selbstständigkeit und Gestaltungsfreiheit trug er früh in sich – und hat sie konsequent umgesetzt: Seit über 25 Jahren ist er selbstständig tätig, mit einem Schwerpunkt auf Kommunikation, Personalmarketing und strategischer Beratung. Rückblickend sagt er: “Wenn man das, was man tut, nicht nur „aushält“, sondern es wirklich zu einem passt, dann bleibt man dabei – und formt sich sein berufliches Umfeld so, wie man es leben möchte.”
Womit lädst du deine Akkus auf, wenn du nicht arbeitest?
Energiequellen abseits des Berufs
Wenn Jo Diercks nicht gerade darüber nachdenkt, wie man Menschen und Berufe besser zusammenbringt, findet man ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit in Laufschuhen. „Das ist tatsächlich ein Hobby, das ich relativ ambitioniert betreibe,“ erzählt er. Laufen ist für ihn mehr als Bewegung – es ist Ausgleich, Ritual und Erlebnis zugleich. „Ich eventisiere das gern ein bisschen – nicht immer dieselbe Strecke, sondern mit Freunden neue Routen entdecken.“
Neben dem Sport ist seine Familie ein zentraler Anker: seine Frau – auch beruflich eine Sparringspartnerin –, sowie zwei fast erwachsene Töchter, mit denen ihn intensive Gespräche und gemeinsame Zeit verbinden. „Das gibt mir unheimlich viel Energie,“ sagt er. Ebenso konstant wie familiär ist seine Treue zum FC St. Pauli – seit fast 40 Jahren begleitet er „seinen“ Verein, mit allen Höhen und Tiefen.
Und dann ist da noch eine besondere Leidenschaft: Wein – genauer gesagt Riesling. Was als Interesse begann, ist heute ein ernstzunehmendes Hobby. Gemeinsam mit Freund:innen hat er eine kleine Weinbergparzelle übernommen – der eigene Wein wird dort produziert. „Das ist so ein fortgeschrittenes Hobby – da fährt man am Wochenende auch mal nach Bingen oder in die Wachau, besucht Winzer und taucht richtig in die Materie ein.“ Ob laufend, mit Familie oder glasweise: Diercks’ Akku wird mit Leidenschaft geladen.
Was würdest du deinem Jüngeren Ich in Sachen Job und Karriere raten?
„Erstmal bei sich selbst anfangen“
Auf die Frage, welchen Rat er seinem jüngeren Ich in Sachen Job und Karriere geben würde, muss Jo Diercks nicht lange überlegen: „Der wichtigste Punkt ist: Bei sich selbst anfangen.“ Zu oft orientieren sich junge Menschen an äußeren Erwartungen – an Eltern, Freunden oder gesellschaftlichen Vorbildern. Doch am Ende, so Diercks, müsse man die eigene Entscheidung selbst tragen. „Was interessiert mich wirklich? Wie möchte ich arbeiten?“ – das seien die zentralen Fragen, denen man sich stellen müsse, auch wenn sie nicht leicht zu beantworten seien.
Er plädiert für einen Prozess, der früh beginnt, aber nicht unter Druck steht: „Berufsorientierung darf kein Drei-Monats-Projekt nach dem Abi sein, sondern sollte über längere Zeit in kleinen Dosen passieren.“ Dazu gehört für ihn, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, Gespräche zu führen, Dinge auszuprobieren – und immer wieder in sich hineinzuhören. So entstehe mit der Zeit ein realistisches Bild davon, wer man ist und was zu einem passt. Neugier, Reflexion und ein langer Atem – das sind laut Diercks die besten Wegweiser für eine stimmige berufliche Entwicklung.
Welche drei Dinge dürfen in deinem (Arbeits-)Alltag auf keinen Fall fehlen?
Drei Dinge, die nie fehlen dürfen
Was darf in Jo Diercks’ Arbeitsalltag keinesfalls fehlen? „Ganz praktisch? Ein Laptop – klar,“ sagt er lachend. Als Entwickler digitaler Produkte ist sein Job naturgemäß technologiegetrieben. „Es ist eine Schreibtischtätigkeit, sehr digital. Neben dem Laptop brauche ich Smartphone, Tablet – einfach die ganze technische Grundausstattung.“
Doch es sind nicht nur Geräte, die für ihn unverzichtbar sind. Zwei weitere Dinge wiegen für Diercks deutlich schwerer: Sinn und menschliche Verbindung. „Wenn Sinn und Spaß nicht dabei wären, dann würde das den Arbeitsalltag ziemlich schnell ruinieren,“ sagt er offen. Feedback von Kund:innen, das zeigt, dass seine Arbeit Wirkung hat, motiviert ihn nachhaltig.
Ebenso wichtig: das Team. „Ich bin zwar sehr autonom unterwegs, aber ich könnte das niemals allein machen. Ich brauche Menschen um mich herum, mit denen ich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich harmonieren kann.“ Denn für Diercks ist Arbeit kein Sololauf – sondern ein gemeinsames Spiel mit Sinn.
Was hat dich in die Welt des Employer Brandings, Recrutainments und digitalen Recruitings geführt?
Wie alles begann: Der Weg ins digitale Recruiting
Jo Diercks gilt heute als einer der prägenden Köpfe im Bereich Recruitainment, Employer Branding und digitales Recruiting. Doch wie kam es eigentlich dazu? „Als wir angefangen haben, haben wir noch in D-Mark abgerechnet – das war im letzten Jahrtausend,“ sagt er mit einem Schmunzeln. Tatsächlich war Diercks ein echter First Mover in der digitalen HR-Welt. Ein Schlüsselmoment: sein Auslandsstudium in Kalifornien Mitte der 90er-Jahre.
„Wir waren 1996/97 in Berkeley, mitten im aufkommenden .com-Hype. Plötzlich war klar: Das Internet wird ein Thema. Und vielleicht auch die Selbstständigkeit.“ Gemeinsam mit seinen späteren Mitgründern von CYQUEST lebte und lernte er dort – und legte unbewusst den Grundstein für das, was später sein beruflicher Fokus werden sollte.
Seine Studienfächer – Marketing, Werbe- und Konsumentenpsychologie sowie Personalwesen – kombinierten bereits genau jene Elemente, die heute seine Arbeit prägen: Kommunikation, Psychologie und HR. „Diese Verbindung – wie kann man Menschen ansprechen, wie kann man Verhalten beeinflussen, wie kann man Wirkung messbar machen – das war schon damals mein Ding.“ Das spielerisch-sympathische Element, für das „Recruitainment“ heute steht, war schon angelegt, lange bevor es einen Begriff dafür gab. Rückblickend, sagt Diercks, ziehe sich ein roter Faden durch seinen Weg – auch wenn dieser in Echtzeit nicht immer so offensichtlich war.
Welche besonderen Herausforderungen siehst du aktuell in der Ansprache der Generationen Z und Alpha?
Zwischen Erwartung und Realität: Herausforderungen für Gen Z & Alpha
Für Jo Diercks ist klar: Die jungen Generationen stehen aktuell vor gewaltigen Herausforderungen – nicht nur beruflich, sondern gesellschaftlich insgesamt. „Wir erleben gerade, dass sich die Welt verändert – aber niemand weiß genau, wohin,“ sagt er. Diese Unsicherheit trifft besonders die Generationen Z und Alpha, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen. „Die Frage ist: In was für eine Welt trete ich eigentlich ein?“
Neben geopolitischen Spannungen, Kriegen und wachsender Unsicherheit in der Arbeitswelt stellt sich vielen jungen Menschen eine sehr persönliche Frage: Was soll ich werden – und gibt es diesen Job in ein paar Jahren überhaupt noch? Der technologische Wandel, insbesondere durch KI, lässt traditionelle Berufsziele fragil wirken. Zugleich prallt das lange verbreitete Narrativ vom „War for Talent“ auf eine aktuelle Realität, in der viele Unternehmen Einstellungsstopps verhängen. „Da kommt dann ein echter Realitätsschock – plötzlich heißt es: Auf dich hat gar niemand gewartet.“
Hinzu kommt eine paradoxe Situation am Arbeitsmarkt: „Wir haben nach wie vor ein demografisches Problem, aber gleichzeitig eine schlechte Konjunktur,“ so Diercks. Während der Fachkräftemangel früher stark auf White-Collar-Jobs wie IT fokussiert war, fehlen heute vor allem Handwerker:innen, Pflegekräfte oder Schwimmmeister:innen. Das stellt die bisherigen Karrierebilder infrage – und verlangt von den Jugendlichen enorme Orientierungsarbeit. „Ich habe 12.000 Studiengänge, 600 Ausbildungsberufe – aber was davon passt wirklich zu mir?“ Eine Antwort zu finden, wird in dieser dynamischen Welt nicht leichter – aber umso dringlicher.
Welcher Trend wird deiner Meinung nach die Nachwuchsgewinnung in den nächsten fünf Jahren am stärksten verändern?
Besseres Matching statt mehr Bewerber
Wenn Jo Diercks in die Zukunft blickt, sieht er nicht den nächsten Hype im digitalen Recruiting, sondern ein viel grundlegenderes Thema im Zentrum: Passung. „Unternehmen müssen in Zukunft viel stärker erklären: Wer sind wir, was tun wir hier – und zu wem passt das?“ Die Herausforderung liegt für ihn darin, nicht nur mehr Bewerber:innen zu erreichen, sondern die richtigen.
Dabei gehe es um nichts Geringeres als die Optimierung der beruflichen Allokation: „Wenn Menschen im falschen Job landen, kostet das Zeit, Energie und Nerven – für alle Beteiligten.“ Stattdessen müsse das Zusammenspiel zwischen individueller Eignung und Unternehmenskultur früher, klarer und transparenter stattfinden. Ziel sei ein langfristiger Fit: Wer besser passt, bleibt länger – und leistet mehr.
Diercks sieht darin einen entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen in einem demografisch schrumpfenden Arbeitsmarkt: „Man muss aus weniger mehr machen – das heißt, das Matching muss besser funktionieren.“ Die Zeit, in der man nur auf Reichweite und Sichtbarkeit setzte, neigt sich dem Ende. In Zukunft geht es um echte Passung – und um Kommunikation, die diese möglich macht.
Individueller Teil – Matching, Haltung & HR-Innovation
Du hast den Begriff Recrutainment stark geprägt. Warum braucht gutes Recruiting heute Unterhaltung – und was darf dabei nicht verloren gehen?
Unterhaltung im Recruiting? Nur mit Substanz
Auf den ersten Blick klingt „Recruitainment“ nach Spaß – doch Jo Diercks stellt klar: „Der Begriff suggeriert Unterhaltung, aber das primäre Ziel ist Information.“ Es gehe nicht darum, Bewerbungsprozesse durch Gamification nur bunter oder lustiger zu machen. „Es bringt nichts, einen Auswahltest mit einer Alien-Rettungsmission zu verpacken, wenn das nichts über den eigentlichen Job aussagt.“
Stattdessen verfolgt gutes Recruitainment ein klares Ziel: Orientierung durch erlebbare Information. Kandidat:innen sollen nicht nur bewertet, sondern gleichzeitig befähigt werden, selbst eine fundierte Entscheidung zu treffen. „Du sollst ja auch auswählen können: Passt dieser Job zu dir? Wie fühlt sich das an?“ Tools wie Realistic Job Previews oder Recruiting-Games seien dann sinnvoll, wenn sie echte Einblicke geben – in den Job, das Arbeitsumfeld und die Unternehmenskultur.
„Das Entertainment ist nicht Selbstzweck – es ist das Vehikel für die Information,“ fasst Diercks zusammen. Denn nur wenn beide Seiten Klarheit gewinnen, gelingt ein gutes Matching. So wird Recruitainment nicht zur Spielerei, sondern zu einem wertvollen Instrument der Berufsorientierung – mit Wirkung, Tiefe und Relevanz.
Ihr bei CYQUEST beschäftigt euch viel mit „Cultural Fit“ – wie gelingt Matching auf Augenhöhe, ohne in Bias oder Stereotype zu verfallen?
Cultural Fit: Mehr als ein Bauchgefühl
Cultural Fit ist in aller Munde – aber was bedeutet es eigentlich wirklich, wenn Menschen und Unternehmen „zueinander passen“ sollen? Für Jo Diercks ist klar: Der Begriff ist schillernd – und birgt Fallstricke. „Oft wird gesagt: ‚Es hat einfach nicht gepasst‘ – aber was genau damit gemeint ist, bleibt diffus. Und genau das öffnet Tür und Tor für Bias und Stereotype.“
Diercks und sein Team bei CYQUEST wollen diese Passung messbarer machen – ohne dabei zu vergessen, dass es sich um weiche, kulturelle Konstrukte handelt. „Wir kommen aus der Eignungsdiagnostik und fragen uns: Wie kann man kulturelle Erwartungen und Unternehmenskulturen sichtbar und vergleichbar machen?“ Ziel sei es, bereits am Anfang des Kennenlernprozesses offen über Werte, Arbeitsstile und Erwartungen zu sprechen – zum Beispiel über das Bedürfnis nach Entscheidungsfreiheit versus klare Hierarchien. Nicht als Bewertung, sondern als Grundlage für ehrliche Gespräche auf Augenhöhe.
Dabei macht Diercks deutlich: „Cultural Fit heißt nicht, dass alle gleich sein müssen.“ Im Gegenteil – manchmal sei gerade der Unterschied gewünscht, zum Beispiel wenn ein hierarchisch geprägtes Unternehmen bewusst nach Mitarbeitenden sucht, die Autonomie und Veränderung mitbringen. „Dann sprechen wir eher von Culture Add – und auch das lässt sich sichtbar machen.“ Ganz vermeiden lassen sich Bias zwar nie – „weil wir eben Menschen sind“ –, aber man könne sie bewusst reduzieren, indem man Kultur nicht nur fühlt, sondern auch reflektiert und transparent macht.
Was macht für dich ein glaubwürdiges Employer Branding aus – jenseits von Hochglanzkampagnen?
Employer Branding braucht Ecken und Kanten
Für Jo Diercks steht fest: Glaubwürdiges Employer Branding hat weniger mit Hochglanz zu tun – und mehr mit Haltung. „Employer Branding heißt nicht, Everybody’s Darling sein zu wollen,“ bringt er es auf den Punkt. Statt alles durch die rosarote Brille zu zeigen, gehe es um echte Unterscheidbarkeit. „Branding heißt: Ich zeige, wer ich bin – und wer ich nicht bin.“
Mit einem Bild aus der Prärie macht Diercks das Prinzip greifbar: „Das Brandzeichen auf der Kuh zeigt: Das ist meine – und nicht die meines Nachbarn. Die Herde ist vielleicht gut, aber ich will wissen, welche zu mir gehört.“ Übertragen auf Unternehmen heißt das: Nur wer seine eigene Identität klar benennt – Stärken, Eigenheiten, aber auch mögliche Reibungspunkte – kann authentisch kommunizieren.
Gerade dort, wo Unternehmen versuchen, alles gleichzeitig zu sein – empathisch, leistungsstark, familienfreundlich und wachstumsgetrieben –, wird es schnell unglaubwürdig. „Wenn ich lese: Bei uns steht Work-Life-Balance ganz oben. Und im nächsten Satz: Wir sind ein maximal leistungsorientiertes High-Performer-Team – dann denke ich mir: Erklär mir bitte, wie das zusammenpasst.“ Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch perfekte Bilder, sondern durch konsistente, ehrliche Botschaften. Nur so gelingt ein Employer Branding, das Vertrauen schafft – und Menschen wirklich erreicht.
Digitalisierung ist im Recruiting allgegenwärtig. Welche digitalen Tools oder Entwicklungen machen deiner Meinung nach wirklich Sinn – und welche sind eher Buzzword-Bingo?
Zwischen Praxisnutzen und Buzzword-Bingo: Digitalisierung im Recruiting
Für Jo Diercks ist klar: Digitalisierung im Recruiting ist kein Selbstzweck – sondern muss den Alltag der Zielgruppen treffen. „Wenn ein Unternehmen Schüler:innen ein Matching-Tool anbietet, dann muss das natürlich aufs Smartphone passen – idealerweise so, dass man es unterwegs, schnell und trotzdem sinnvoll nutzen kann.“ Digitale Lösungen, die Lebensrealitäten berücksichtigen, seien mehr als sinnvoll – sie seien notwendig.
Auch im Auswahlprozess haben digitale Verfahren ihren festen Platz. „Ein Online-Assessment ersetzt heute ganz selbstverständlich den Papierfragebogen im Büro – weil es effizienter, flexibler und valide ist.“ In diesen Fällen lasse sich der Nutzen direkt belegen, so Diercks. Kritischer sieht er jedoch den Hype um Künstliche Intelligenz: „KI ist eine faszinierende Technologie – aber vieles, was aktuell als ‚KI‘ verkauft wird, ist reines Buzzword-Bingo.“
Gerade bei beratungsnahen Anwendungen – etwa der Frage, welche Ausbildung jemand machen sollte – müsse man genau hinschauen: „Eine KI kann dir eine plausible Antwort geben. Aber ist sie auch hilfreich und richtig? Das ist noch nicht abschließend geklärt.“ Für Diercks gilt: Jeder Digitalisierungsschritt muss sich bewähren – durch echte Wirkung, nicht durch schöne Versprechen. „Probieren, nachweisen, iterieren – so geht nachhaltige Innovation.“
In deinem Blog und Vorträgen forderst du oft mehr Mut zu Klarheit und Kante in der Kommunikation. Warum tun sich viele Unternehmen so schwer damit?
„Zeig, was ist“ – Warum Unternehmen mehr Klarheit wagen sollten
Jo Diercks fordert in seinen Vorträgen und Blogbeiträgen regelmäßig: Mehr Mut zur Klarheit und Kante – gerade im Employer Branding. Doch warum fällt das so vielen Unternehmen so schwer? „Weil sie in diesem Everybody’s-Darling-Denken gefangen sind,“ meint er. Die Angst, jemanden abzuschrecken, führt oft zu weichgespülter Kommunikation, die am Ende niemanden wirklich anspricht.
Ein Beispiel bringt es auf den Punkt: „Wenn im Unternehmen im Großraumbüro gearbeitet wird, dann sag das auch. Wenn das so schlimm ist, dass man es nicht sagen kann – dann ändert es!“ Es gehe nicht darum, sich schlecht zu reden, sondern darum, ehrlich zu zeigen, wie es wirklich ist. Denn genau diese Realität sei entscheidend für eine gute Passung. „Klarheit hilft, dass die Richtigen kommen – und die Falschen sich bewusst dagegen entscheiden. Das ist kein Nachteil, das ist Selektion im besten Sinne.“
Der Effekt ist messbar: Wer weiß, worauf er sich einlässt, ist zufriedener, bleibt länger und performt besser. „Das ist seit Jahren in der Forschung belegt – trotzdem wirken viele Arbeitgeberauftritte wie rundgelutschte Kieselsteine: glatt, austauschbar, profillos.“ Für Diercks ist klar: Wer wirklich überzeugen will, muss zeigen, worin er sich unterscheidet – nicht, worin er sich anpasst.
Du beobachtest den Markt seit vielen Jahren sehr genau – was war zuletzt ein echter Aha-Moment für dich?
Ein Aha-Moment mit Wirkung: Wenn Klarheit auf Tool trifft
Fragt man Jo Diercks nach einem Aha-Moment der jüngeren Vergangenheit, muss er nicht lange überlegen. „Ich feiere es jedes Mal, wenn ein Unternehmen wirklich klare Kante zeigt – wenn es sich traut, Dinge ehrlich darzustellen, wie sie sind, ohne Marketingfloskeln.“ Besonders begeistert zeigt er sich von einem Projekt, das er gemeinsam mit Fielmann umgesetzt hat – und das genau diesen Mut zur Realität bewiesen hat.
Im Zentrum stand ein digitales Tool für die Berufsorientierung, speziell für die Ausbildungsberufe Augenoptiker:in und Hörakustiker:in – beides sogenannte Mengenprofile mit hohem Bedarf. „Die Nutzer:innen konnten dort in wenigen Minuten interaktiv erleben, was die Tätigkeit tatsächlich umfasst – von Kundenberatung bis Samstagsarbeit in der Filiale.“ Das Tool sei nicht nur informativ, sondern auch realistisch und kurzweilig. Das Entscheidende: „Wer es durchlaufen hat, weiß danach deutlich besser, worauf er oder sie sich einlässt – und das reduziert Enttäuschungen auf beiden Seiten.“
Für Diercks ist das ein Paradebeispiel für erfolgreiches Recruiting auf Augenhöhe: „Realistische Erwartungen führen zu besserer Selbstselektion – und damit zu besseren Bewerbern, besseren Mitarbeitenden und langfristig mehr Zufriedenheit.“
Wenn du jungen Menschen oder Unternehmen einen einzigen Tipp für eine erfolgreiche Zukunft im Berufsleben mitgeben könntest – welcher wäre das?
Zwischen Passung und Haltung: Ein Rat für die Zukunft
Wenn Jo Diercks jungen Menschen einen zentralen Rat für ihre berufliche Zukunft mitgeben dürfte, dann wäre es dieser: „Achte darauf, dass du etwas findest, das zu dir passt.“ Denn wenn die Passung stimmt – zwischen Mensch, Aufgabe und Umfeld – wird vieles im Berufsleben automatisch einfacher.
Doch er fügt ein wichtiges „Ja, aber“ hinzu. Gerade in Richtung der Generationen Z und Alpha appelliert er an eine gesunde Portion Durchhaltevermögen. „Nicht beim ersten Gegenwind gleich in den Sack hauen. Auch wenn mal etwas schiefgeht oder der Chef kritisch ist – das gehört dazu.“ Die reale Welt sei eben nicht immer harmonisch, sondern manchmal herausfordernd. Das auszuhalten, sei Teil des Reifungsprozesses.
Dazu gehört für Diercks auch ein realistisches Verständnis von Verantwortung: „Verantwortung ist nicht nur Glanz und Gestaltungsspielraum – sie bedeutet auch, für Fehler einzustehen und sie auszubügeln.“ Diese Haltung sei heute wichtiger denn je, gerade in einer Zeit, die von Unsicherheiten und Krisen geprägt ist. „Demut, Reflexion und Selbstverantwortung – das sind für mich zentrale Bausteine für eine erfolgreiche, aber auch stabile berufliche Zukunft.“
Zum Schluss – ein Wort von Susanne Peters von Einstieg:
Lieber Jo, danke für das offene Gespräch! Unsere Zusammenarbeit startete mit dem Interessencheck auf einstieg.com – dem Berufswahltest, den ihr von Cyquest für uns entwickelt habt. Er hat schon vielen Jugendlichen geholfen, ihre Stärken besser zu erkennen und passende Berufswege zu entdecken.
Dein kreativer, praxisnaher Ansatz begeistert uns immer wieder – ich freue mich auf alles, was wir gemeinsam noch anpacken!
Bis bald
Susanne Peters – Einstieg Concept

Was treibt jemanden an, der seit über zwei Jahrzehnten an der Schnittstelle von Berufsorientierung, Employer Branding und digitaler Eignungsdiagnostik arbeitet? In der aktuellen Ausgabe unserer Interviewreihe Inside NextGen trifft Susanne Peters von Einstieg Concept auf Jo Diercks – einen der prägendsten Köpfe im digitalen Recruiting. Im Gespräch zeigt sich Diercks als klarer Analytiker, reflektierter Vordenker und verbindlicher Pragmatiker – und spricht offen über das, was gute Berufsorientierung heute leisten muss, warum Ehrlichkeit das beste Employer Branding ist und wie die NextGen zwischen Anspruch und Realität navigieren kann.
Beschreib dich in drei Worten – ganz ohne Jobtitel oder Buzzwords.
Inside the Mind: Wer ist Jo Diercks?
Fragt man Jo Diercks, wie er sich selbst beschreiben würde – ganz ohne Jobtitel und Buzzwords – fällt die Antwort bemerkenswert klar aus. Im Zentrum steht für ihn das Thema Eignungsdiagnostik, eng verbunden mit Berufsorientierung – zwei Felder, in denen er nicht nur Experte, sondern auch Überzeugungstäter ist.
Privat beschreibt er sich schmunzelnd als „Dad of two“ – Vater von zwei Töchtern – und macht damit deutlich, dass für ihn Beruf und Familie keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bereichern. Seine Haltung: Sinnstiftung im Job und Verbundenheit im Privaten – beides gehört untrennbar zu dem Menschen Jo Diercks.
Was wolltest du als Kind mal werden – und was begeistert dich heute an dem, was du tust?
Beruf mit Bedeutung
Schon als Kind wusste Jo Diercks: Ich will etwas tun, das Relevanz hat. Der Wunsch, einen Beitrag zu leisten und die Welt im Kleinen besser zu machen, begleitet ihn bis heute – und spiegelt sich in seiner Arbeit rund um Eignungsdiagnostik und Berufsorientierung wider. Menschen mit passenden Aufgaben zu verbinden, ist für ihn nicht nur Beruf, sondern echte Überzeugung.
Auch die Idee von Selbstständigkeit und Gestaltungsfreiheit trug er früh in sich – und hat sie konsequent umgesetzt: Seit über 25 Jahren ist er selbstständig tätig, mit einem Schwerpunkt auf Kommunikation, Personalmarketing und strategischer Beratung. Rückblickend sagt er: “Wenn man das, was man tut, nicht nur „aushält“, sondern es wirklich zu einem passt, dann bleibt man dabei – und formt sich sein berufliches Umfeld so, wie man es leben möchte.”
Womit lädst du deine Akkus auf, wenn du nicht arbeitest?
Energiequellen abseits des Berufs
Wenn Jo Diercks nicht gerade darüber nachdenkt, wie man Menschen und Berufe besser zusammenbringt, findet man ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit in Laufschuhen. „Das ist tatsächlich ein Hobby, das ich relativ ambitioniert betreibe,“ erzählt er. Laufen ist für ihn mehr als Bewegung – es ist Ausgleich, Ritual und Erlebnis zugleich. „Ich eventisiere das gern ein bisschen – nicht immer dieselbe Strecke, sondern mit Freunden neue Routen entdecken.“
Neben dem Sport ist seine Familie ein zentraler Anker: seine Frau – auch beruflich eine Sparringspartnerin –, sowie zwei fast erwachsene Töchter, mit denen ihn intensive Gespräche und gemeinsame Zeit verbinden. „Das gibt mir unheimlich viel Energie,“ sagt er. Ebenso konstant wie familiär ist seine Treue zum FC St. Pauli – seit fast 40 Jahren begleitet er „seinen“ Verein, mit allen Höhen und Tiefen.
Und dann ist da noch eine besondere Leidenschaft: Wein – genauer gesagt Riesling. Was als Interesse begann, ist heute ein ernstzunehmendes Hobby. Gemeinsam mit Freund:innen hat er eine kleine Weinbergparzelle übernommen – der eigene Wein wird dort produziert. „Das ist so ein fortgeschrittenes Hobby – da fährt man am Wochenende auch mal nach Bingen oder in die Wachau, besucht Winzer und taucht richtig in die Materie ein.“ Ob laufend, mit Familie oder glasweise: Diercks’ Akku wird mit Leidenschaft geladen.
Was würdest du deinem Jüngeren Ich in Sachen Job und Karriere raten?
„Erstmal bei sich selbst anfangen“
Auf die Frage, welchen Rat er seinem jüngeren Ich in Sachen Job und Karriere geben würde, muss Jo Diercks nicht lange überlegen: „Der wichtigste Punkt ist: Bei sich selbst anfangen.“ Zu oft orientieren sich junge Menschen an äußeren Erwartungen – an Eltern, Freunden oder gesellschaftlichen Vorbildern. Doch am Ende, so Diercks, müsse man die eigene Entscheidung selbst tragen. „Was interessiert mich wirklich? Wie möchte ich arbeiten?“ – das seien die zentralen Fragen, denen man sich stellen müsse, auch wenn sie nicht leicht zu beantworten seien.
Er plädiert für einen Prozess, der früh beginnt, aber nicht unter Druck steht: „Berufsorientierung darf kein Drei-Monats-Projekt nach dem Abi sein, sondern sollte über längere Zeit in kleinen Dosen passieren.“ Dazu gehört für ihn, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, Gespräche zu führen, Dinge auszuprobieren – und immer wieder in sich hineinzuhören. So entstehe mit der Zeit ein realistisches Bild davon, wer man ist und was zu einem passt. Neugier, Reflexion und ein langer Atem – das sind laut Diercks die besten Wegweiser für eine stimmige berufliche Entwicklung.
Welche drei Dinge dürfen in deinem (Arbeits-)Alltag auf keinen Fall fehlen?
Drei Dinge, die nie fehlen dürfen
Was darf in Jo Diercks’ Arbeitsalltag keinesfalls fehlen? „Ganz praktisch? Ein Laptop – klar,“ sagt er lachend. Als Entwickler digitaler Produkte ist sein Job naturgemäß technologiegetrieben. „Es ist eine Schreibtischtätigkeit, sehr digital. Neben dem Laptop brauche ich Smartphone, Tablet – einfach die ganze technische Grundausstattung.“
Doch es sind nicht nur Geräte, die für ihn unverzichtbar sind. Zwei weitere Dinge wiegen für Diercks deutlich schwerer: Sinn und menschliche Verbindung. „Wenn Sinn und Spaß nicht dabei wären, dann würde das den Arbeitsalltag ziemlich schnell ruinieren,“ sagt er offen. Feedback von Kund:innen, das zeigt, dass seine Arbeit Wirkung hat, motiviert ihn nachhaltig.
Ebenso wichtig: das Team. „Ich bin zwar sehr autonom unterwegs, aber ich könnte das niemals allein machen. Ich brauche Menschen um mich herum, mit denen ich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich harmonieren kann.“ Denn für Diercks ist Arbeit kein Sololauf – sondern ein gemeinsames Spiel mit Sinn.
Was hat dich in die Welt des Employer Brandings, Recrutainments und digitalen Recruitings geführt?
Wie alles begann: Der Weg ins digitale Recruiting
Jo Diercks gilt heute als einer der prägenden Köpfe im Bereich Recruitainment, Employer Branding und digitales Recruiting. Doch wie kam es eigentlich dazu? „Als wir angefangen haben, haben wir noch in D-Mark abgerechnet – das war im letzten Jahrtausend,“ sagt er mit einem Schmunzeln. Tatsächlich war Diercks ein echter First Mover in der digitalen HR-Welt. Ein Schlüsselmoment: sein Auslandsstudium in Kalifornien Mitte der 90er-Jahre.
„Wir waren 1996/97 in Berkeley, mitten im aufkommenden .com-Hype. Plötzlich war klar: Das Internet wird ein Thema. Und vielleicht auch die Selbstständigkeit.“ Gemeinsam mit seinen späteren Mitgründern von CYQUEST lebte und lernte er dort – und legte unbewusst den Grundstein für das, was später sein beruflicher Fokus werden sollte.
Seine Studienfächer – Marketing, Werbe- und Konsumentenpsychologie sowie Personalwesen – kombinierten bereits genau jene Elemente, die heute seine Arbeit prägen: Kommunikation, Psychologie und HR. „Diese Verbindung – wie kann man Menschen ansprechen, wie kann man Verhalten beeinflussen, wie kann man Wirkung messbar machen – das war schon damals mein Ding.“ Das spielerisch-sympathische Element, für das „Recruitainment“ heute steht, war schon angelegt, lange bevor es einen Begriff dafür gab. Rückblickend, sagt Diercks, ziehe sich ein roter Faden durch seinen Weg – auch wenn dieser in Echtzeit nicht immer so offensichtlich war.
Welche besonderen Herausforderungen siehst du aktuell in der Ansprache der Generationen Z und Alpha?
Zwischen Erwartung und Realität: Herausforderungen für Gen Z & Alpha
Für Jo Diercks ist klar: Die jungen Generationen stehen aktuell vor gewaltigen Herausforderungen – nicht nur beruflich, sondern gesellschaftlich insgesamt. „Wir erleben gerade, dass sich die Welt verändert – aber niemand weiß genau, wohin,“ sagt er. Diese Unsicherheit trifft besonders die Generationen Z und Alpha, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen. „Die Frage ist: In was für eine Welt trete ich eigentlich ein?“
Neben geopolitischen Spannungen, Kriegen und wachsender Unsicherheit in der Arbeitswelt stellt sich vielen jungen Menschen eine sehr persönliche Frage: Was soll ich werden – und gibt es diesen Job in ein paar Jahren überhaupt noch? Der technologische Wandel, insbesondere durch KI, lässt traditionelle Berufsziele fragil wirken. Zugleich prallt das lange verbreitete Narrativ vom „War for Talent“ auf eine aktuelle Realität, in der viele Unternehmen Einstellungsstopps verhängen. „Da kommt dann ein echter Realitätsschock – plötzlich heißt es: Auf dich hat gar niemand gewartet.“
Hinzu kommt eine paradoxe Situation am Arbeitsmarkt: „Wir haben nach wie vor ein demografisches Problem, aber gleichzeitig eine schlechte Konjunktur,“ so Diercks. Während der Fachkräftemangel früher stark auf White-Collar-Jobs wie IT fokussiert war, fehlen heute vor allem Handwerker:innen, Pflegekräfte oder Schwimmmeister:innen. Das stellt die bisherigen Karrierebilder infrage – und verlangt von den Jugendlichen enorme Orientierungsarbeit. „Ich habe 12.000 Studiengänge, 600 Ausbildungsberufe – aber was davon passt wirklich zu mir?“ Eine Antwort zu finden, wird in dieser dynamischen Welt nicht leichter – aber umso dringlicher.
Welcher Trend wird deiner Meinung nach die Nachwuchsgewinnung in den nächsten fünf Jahren am stärksten verändern?
Besseres Matching statt mehr Bewerber
Wenn Jo Diercks in die Zukunft blickt, sieht er nicht den nächsten Hype im digitalen Recruiting, sondern ein viel grundlegenderes Thema im Zentrum: Passung. „Unternehmen müssen in Zukunft viel stärker erklären: Wer sind wir, was tun wir hier – und zu wem passt das?“ Die Herausforderung liegt für ihn darin, nicht nur mehr Bewerber:innen zu erreichen, sondern die richtigen.
Dabei gehe es um nichts Geringeres als die Optimierung der beruflichen Allokation: „Wenn Menschen im falschen Job landen, kostet das Zeit, Energie und Nerven – für alle Beteiligten.“ Stattdessen müsse das Zusammenspiel zwischen individueller Eignung und Unternehmenskultur früher, klarer und transparenter stattfinden. Ziel sei ein langfristiger Fit: Wer besser passt, bleibt länger – und leistet mehr.
Diercks sieht darin einen entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen in einem demografisch schrumpfenden Arbeitsmarkt: „Man muss aus weniger mehr machen – das heißt, das Matching muss besser funktionieren.“ Die Zeit, in der man nur auf Reichweite und Sichtbarkeit setzte, neigt sich dem Ende. In Zukunft geht es um echte Passung – und um Kommunikation, die diese möglich macht.
Individueller Teil – Matching, Haltung & HR-Innovation
Du hast den Begriff Recrutainment stark geprägt. Warum braucht gutes Recruiting heute Unterhaltung – und was darf dabei nicht verloren gehen?
Unterhaltung im Recruiting? Nur mit Substanz
Auf den ersten Blick klingt „Recruitainment“ nach Spaß – doch Jo Diercks stellt klar: „Der Begriff suggeriert Unterhaltung, aber das primäre Ziel ist Information.“ Es gehe nicht darum, Bewerbungsprozesse durch Gamification nur bunter oder lustiger zu machen. „Es bringt nichts, einen Auswahltest mit einer Alien-Rettungsmission zu verpacken, wenn das nichts über den eigentlichen Job aussagt.“
Stattdessen verfolgt gutes Recruitainment ein klares Ziel: Orientierung durch erlebbare Information. Kandidat:innen sollen nicht nur bewertet, sondern gleichzeitig befähigt werden, selbst eine fundierte Entscheidung zu treffen. „Du sollst ja auch auswählen können: Passt dieser Job zu dir? Wie fühlt sich das an?“ Tools wie Realistic Job Previews oder Recruiting-Games seien dann sinnvoll, wenn sie echte Einblicke geben – in den Job, das Arbeitsumfeld und die Unternehmenskultur.
„Das Entertainment ist nicht Selbstzweck – es ist das Vehikel für die Information,“ fasst Diercks zusammen. Denn nur wenn beide Seiten Klarheit gewinnen, gelingt ein gutes Matching. So wird Recruitainment nicht zur Spielerei, sondern zu einem wertvollen Instrument der Berufsorientierung – mit Wirkung, Tiefe und Relevanz.
Ihr bei CYQUEST beschäftigt euch viel mit „Cultural Fit“ – wie gelingt Matching auf Augenhöhe, ohne in Bias oder Stereotype zu verfallen?
Cultural Fit: Mehr als ein Bauchgefühl
Cultural Fit ist in aller Munde – aber was bedeutet es eigentlich wirklich, wenn Menschen und Unternehmen „zueinander passen“ sollen? Für Jo Diercks ist klar: Der Begriff ist schillernd – und birgt Fallstricke. „Oft wird gesagt: ‚Es hat einfach nicht gepasst‘ – aber was genau damit gemeint ist, bleibt diffus. Und genau das öffnet Tür und Tor für Bias und Stereotype.“
Diercks und sein Team bei CYQUEST wollen diese Passung messbarer machen – ohne dabei zu vergessen, dass es sich um weiche, kulturelle Konstrukte handelt. „Wir kommen aus der Eignungsdiagnostik und fragen uns: Wie kann man kulturelle Erwartungen und Unternehmenskulturen sichtbar und vergleichbar machen?“ Ziel sei es, bereits am Anfang des Kennenlernprozesses offen über Werte, Arbeitsstile und Erwartungen zu sprechen – zum Beispiel über das Bedürfnis nach Entscheidungsfreiheit versus klare Hierarchien. Nicht als Bewertung, sondern als Grundlage für ehrliche Gespräche auf Augenhöhe.
Dabei macht Diercks deutlich: „Cultural Fit heißt nicht, dass alle gleich sein müssen.“ Im Gegenteil – manchmal sei gerade der Unterschied gewünscht, zum Beispiel wenn ein hierarchisch geprägtes Unternehmen bewusst nach Mitarbeitenden sucht, die Autonomie und Veränderung mitbringen. „Dann sprechen wir eher von Culture Add – und auch das lässt sich sichtbar machen.“ Ganz vermeiden lassen sich Bias zwar nie – „weil wir eben Menschen sind“ –, aber man könne sie bewusst reduzieren, indem man Kultur nicht nur fühlt, sondern auch reflektiert und transparent macht.
Was macht für dich ein glaubwürdiges Employer Branding aus – jenseits von Hochglanzkampagnen?
Employer Branding braucht Ecken und Kanten
Für Jo Diercks steht fest: Glaubwürdiges Employer Branding hat weniger mit Hochglanz zu tun – und mehr mit Haltung. „Employer Branding heißt nicht, Everybody’s Darling sein zu wollen,“ bringt er es auf den Punkt. Statt alles durch die rosarote Brille zu zeigen, gehe es um echte Unterscheidbarkeit. „Branding heißt: Ich zeige, wer ich bin – und wer ich nicht bin.“
Mit einem Bild aus der Prärie macht Diercks das Prinzip greifbar: „Das Brandzeichen auf der Kuh zeigt: Das ist meine – und nicht die meines Nachbarn. Die Herde ist vielleicht gut, aber ich will wissen, welche zu mir gehört.“ Übertragen auf Unternehmen heißt das: Nur wer seine eigene Identität klar benennt – Stärken, Eigenheiten, aber auch mögliche Reibungspunkte – kann authentisch kommunizieren.
Gerade dort, wo Unternehmen versuchen, alles gleichzeitig zu sein – empathisch, leistungsstark, familienfreundlich und wachstumsgetrieben –, wird es schnell unglaubwürdig. „Wenn ich lese: Bei uns steht Work-Life-Balance ganz oben. Und im nächsten Satz: Wir sind ein maximal leistungsorientiertes High-Performer-Team – dann denke ich mir: Erklär mir bitte, wie das zusammenpasst.“ Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch perfekte Bilder, sondern durch konsistente, ehrliche Botschaften. Nur so gelingt ein Employer Branding, das Vertrauen schafft – und Menschen wirklich erreicht.
Digitalisierung ist im Recruiting allgegenwärtig. Welche digitalen Tools oder Entwicklungen machen deiner Meinung nach wirklich Sinn – und welche sind eher Buzzword-Bingo?
Zwischen Praxisnutzen und Buzzword-Bingo: Digitalisierung im Recruiting
Für Jo Diercks ist klar: Digitalisierung im Recruiting ist kein Selbstzweck – sondern muss den Alltag der Zielgruppen treffen. „Wenn ein Unternehmen Schüler:innen ein Matching-Tool anbietet, dann muss das natürlich aufs Smartphone passen – idealerweise so, dass man es unterwegs, schnell und trotzdem sinnvoll nutzen kann.“ Digitale Lösungen, die Lebensrealitäten berücksichtigen, seien mehr als sinnvoll – sie seien notwendig.
Auch im Auswahlprozess haben digitale Verfahren ihren festen Platz. „Ein Online-Assessment ersetzt heute ganz selbstverständlich den Papierfragebogen im Büro – weil es effizienter, flexibler und valide ist.“ In diesen Fällen lasse sich der Nutzen direkt belegen, so Diercks. Kritischer sieht er jedoch den Hype um Künstliche Intelligenz: „KI ist eine faszinierende Technologie – aber vieles, was aktuell als ‚KI‘ verkauft wird, ist reines Buzzword-Bingo.“
Gerade bei beratungsnahen Anwendungen – etwa der Frage, welche Ausbildung jemand machen sollte – müsse man genau hinschauen: „Eine KI kann dir eine plausible Antwort geben. Aber ist sie auch hilfreich und richtig? Das ist noch nicht abschließend geklärt.“ Für Diercks gilt: Jeder Digitalisierungsschritt muss sich bewähren – durch echte Wirkung, nicht durch schöne Versprechen. „Probieren, nachweisen, iterieren – so geht nachhaltige Innovation.“
In deinem Blog und Vorträgen forderst du oft mehr Mut zu Klarheit und Kante in der Kommunikation. Warum tun sich viele Unternehmen so schwer damit?
„Zeig, was ist“ – Warum Unternehmen mehr Klarheit wagen sollten
Jo Diercks fordert in seinen Vorträgen und Blogbeiträgen regelmäßig: Mehr Mut zur Klarheit und Kante – gerade im Employer Branding. Doch warum fällt das so vielen Unternehmen so schwer? „Weil sie in diesem Everybody’s-Darling-Denken gefangen sind,“ meint er. Die Angst, jemanden abzuschrecken, führt oft zu weichgespülter Kommunikation, die am Ende niemanden wirklich anspricht.
Ein Beispiel bringt es auf den Punkt: „Wenn im Unternehmen im Großraumbüro gearbeitet wird, dann sag das auch. Wenn das so schlimm ist, dass man es nicht sagen kann – dann ändert es!“ Es gehe nicht darum, sich schlecht zu reden, sondern darum, ehrlich zu zeigen, wie es wirklich ist. Denn genau diese Realität sei entscheidend für eine gute Passung. „Klarheit hilft, dass die Richtigen kommen – und die Falschen sich bewusst dagegen entscheiden. Das ist kein Nachteil, das ist Selektion im besten Sinne.“
Der Effekt ist messbar: Wer weiß, worauf er sich einlässt, ist zufriedener, bleibt länger und performt besser. „Das ist seit Jahren in der Forschung belegt – trotzdem wirken viele Arbeitgeberauftritte wie rundgelutschte Kieselsteine: glatt, austauschbar, profillos.“ Für Diercks ist klar: Wer wirklich überzeugen will, muss zeigen, worin er sich unterscheidet – nicht, worin er sich anpasst.
Du beobachtest den Markt seit vielen Jahren sehr genau – was war zuletzt ein echter Aha-Moment für dich?
Ein Aha-Moment mit Wirkung: Wenn Klarheit auf Tool trifft
Fragt man Jo Diercks nach einem Aha-Moment der jüngeren Vergangenheit, muss er nicht lange überlegen. „Ich feiere es jedes Mal, wenn ein Unternehmen wirklich klare Kante zeigt – wenn es sich traut, Dinge ehrlich darzustellen, wie sie sind, ohne Marketingfloskeln.“ Besonders begeistert zeigt er sich von einem Projekt, das er gemeinsam mit Fielmann umgesetzt hat – und das genau diesen Mut zur Realität bewiesen hat.
Im Zentrum stand ein digitales Tool für die Berufsorientierung, speziell für die Ausbildungsberufe Augenoptiker:in und Hörakustiker:in – beides sogenannte Mengenprofile mit hohem Bedarf. „Die Nutzer:innen konnten dort in wenigen Minuten interaktiv erleben, was die Tätigkeit tatsächlich umfasst – von Kundenberatung bis Samstagsarbeit in der Filiale.“ Das Tool sei nicht nur informativ, sondern auch realistisch und kurzweilig. Das Entscheidende: „Wer es durchlaufen hat, weiß danach deutlich besser, worauf er oder sie sich einlässt – und das reduziert Enttäuschungen auf beiden Seiten.“
Für Diercks ist das ein Paradebeispiel für erfolgreiches Recruiting auf Augenhöhe: „Realistische Erwartungen führen zu besserer Selbstselektion – und damit zu besseren Bewerbern, besseren Mitarbeitenden und langfristig mehr Zufriedenheit.“
Wenn du jungen Menschen oder Unternehmen einen einzigen Tipp für eine erfolgreiche Zukunft im Berufsleben mitgeben könntest – welcher wäre das?
Zwischen Passung und Haltung: Ein Rat für die Zukunft
Wenn Jo Diercks jungen Menschen einen zentralen Rat für ihre berufliche Zukunft mitgeben dürfte, dann wäre es dieser: „Achte darauf, dass du etwas findest, das zu dir passt.“ Denn wenn die Passung stimmt – zwischen Mensch, Aufgabe und Umfeld – wird vieles im Berufsleben automatisch einfacher.
Doch er fügt ein wichtiges „Ja, aber“ hinzu. Gerade in Richtung der Generationen Z und Alpha appelliert er an eine gesunde Portion Durchhaltevermögen. „Nicht beim ersten Gegenwind gleich in den Sack hauen. Auch wenn mal etwas schiefgeht oder der Chef kritisch ist – das gehört dazu.“ Die reale Welt sei eben nicht immer harmonisch, sondern manchmal herausfordernd. Das auszuhalten, sei Teil des Reifungsprozesses.
Dazu gehört für Diercks auch ein realistisches Verständnis von Verantwortung: „Verantwortung ist nicht nur Glanz und Gestaltungsspielraum – sie bedeutet auch, für Fehler einzustehen und sie auszubügeln.“ Diese Haltung sei heute wichtiger denn je, gerade in einer Zeit, die von Unsicherheiten und Krisen geprägt ist. „Demut, Reflexion und Selbstverantwortung – das sind für mich zentrale Bausteine für eine erfolgreiche, aber auch stabile berufliche Zukunft.“
Zum Schluss – ein Wort von Susanne Peters von Einstieg:
Lieber Jo, danke für das offene Gespräch! Unsere Zusammenarbeit startete mit dem Interessencheck auf einstieg.com – dem Berufswahltest, den ihr von Cyquest für uns entwickelt habt. Er hat schon vielen Jugendlichen geholfen, ihre Stärken besser zu erkennen und passende Berufswege zu entdecken.
Dein kreativer, praxisnaher Ansatz begeistert uns immer wieder – ich freue mich auf alles, was wir gemeinsam noch anpacken!
Bis bald
Susanne Peters – Einstieg Concept
Was treibt jemanden an, der seit über zwei Jahrzehnten an der Schnittstelle von Berufsorientierung, Employer Branding und digitaler Eignungsdiagnostik arbeitet? In der aktuellen Ausgabe unserer Interviewreihe Inside NextGen trifft Susanne Peters von Einstieg Concept auf Jo Diercks – einen der prägendsten Köpfe im digitalen Recruiting. Im Gespräch zeigt sich Diercks als klarer Analytiker, reflektierter Vordenker und verbindlicher Pragmatiker – und spricht offen über das, was gute Berufsorientierung heute leisten muss, warum Ehrlichkeit das beste Employer Branding ist und wie die NextGen zwischen Anspruch und Realität navigieren kann.
Was treibt jemanden an, der seit über zwei Jahrzehnten an der Schnittstelle von Berufsorientierung, Employer Branding und digitaler Eignungsdiagnostik arbeitet? In der aktuellen Ausgabe unserer Interviewreihe Inside NextGen trifft Susanne Peters von Einstieg Concept auf Jo Diercks – einen der prägendsten Köpfe im digitalen Recruiting. Im Gespräch zeigt sich Diercks als klarer Analytiker, reflektierter Vordenker und verbindlicher Pragmatiker – und spricht offen über das, was gute Berufsorientierung heute leisten muss, warum Ehrlichkeit das beste Employer Branding ist und wie die NextGen zwischen Anspruch und Realität navigieren kann.
Neugierig. Geschichten erzählend. Einfühlsam. So beschreibt sich Felix Behm selbst – ganz ohne Jobtitel oder Buzzwords. Und wer ihm zuhört, merkt schnell: Das ist nicht kokett, das ist Haltung. Der Bildungsexperte, Speaker und Autor ist bundesweit unterwegs, um Unternehmen, Schulen und junge Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. In Vorträgen, Podcasts oder Workshops zeigt er, wie Ausbildung wieder relevant, wirksam – und ja, auch „geil“ – werden kann. Im Interview mit Susanne Peters (Einstieg Concept) spricht Felix Behm über Sichtbarkeit, Wertschätzung und die Frage, warum sich heute viele nicht mehr trauen, einfach mal zu fragen.
Neugierig. Geschichten erzählend. Einfühlsam. So beschreibt sich Felix Behm selbst – ganz ohne Jobtitel oder Buzzwords. Und wer ihm zuhört, merkt schnell: Das ist nicht kokett, das ist Haltung. Der Bildungsexperte, Speaker und Autor ist bundesweit unterwegs, um Unternehmen, Schulen und junge Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. In Vorträgen, Podcasts oder Workshops zeigt er, wie Ausbildung wieder relevant, wirksam – und ja, auch „geil“ – werden kann. Im Interview mit Susanne Peters (Einstieg Concept) spricht Felix Behm über Sichtbarkeit, Wertschätzung und die Frage, warum sich heute viele nicht mehr trauen, einfach mal zu fragen.
Dr. Nico Piatkowski war in Schulzeiten von Mathe und dem Amiga 500 fasziniert. Dann hat er an der TU Dortmund Informatik studiert, am Lehrstuhl für KI promoviert und ist heute Experte für Machine Learning am Fraunhofer-Institut: eine beachtliche Karriere, dank menschlicher Intelligenz. Wir haben uns lange mit ihm unterhalten und wollten wissen, was KI für die Arbeitswelt und das Recruiting von morgen bedeutet.
Dr. Nico Piatkowski war in Schulzeiten von Mathe und dem Amiga 500 fasziniert. Dann hat er an der TU Dortmund Informatik studiert, am Lehrstuhl für KI promoviert und ist heute Experte für Machine Learning am Fraunhofer-Institut: eine beachtliche Karriere, dank menschlicher Intelligenz. Wir haben uns lange mit ihm unterhalten und wollten wissen, was KI für die Arbeitswelt und das Recruiting von morgen bedeutet.